Piano Express

Schlafwagen Design ein Konzept

Die Entwicklung und Geschichte der Eisenbahn bewegt sich nach der Industriellen Revolution noch einmal neu. Noch nicht sofort als bevorzugtes Massenverkehrsmittel, das alle Langstrecken und Bahnhöfe sofort erobert, aber mit Blick auf den Komfort und die spezifischen Wünsche der Passagiere, die anders reisen möchten. Auch dafür gibt es schon seit langem Vorläufer wie den viel gerühmten Orient-Express, in dem sogar anspruchsvoll gekocht wurde, oder die luxuriösen Langstreckenzüge in den USA, etwa zwischen New York und San Francisco. Eine Dimension und Leidenschaft für die Eisenbahn, die alle europäischen Vorstellungen des Zugverkehrs für lange Zeit hinter sich ließ: zweigeschossige Züge mit Schlafabteilen, Speisewagen, Panoramawagen und Badezimmern, die zur Begrüßung ihrer Gäste im Vorfeld etliche freistehende voluminöse Ledersessel anboten. Der Blick aus dem Fenster ließ fast darauf schließen, dass ein zweiter Zug in die gleiche Richtung unterwegs war, in den Bergen mit vier gewaltigen Diesel-Lokomotiven. Aber es war regelmäßig der eigene, ungewohnt lange Zug, den man im Blick hatte und der zum Beispiel den Bahnsteig der alten Western-Stadt Laramie völlig sprengte. Die gewaltige Dimension dieses Kontinents wurde nur so tatsächlich deutlich. Kein Flugzeug konnte diese Konkurrenz vor 40 Jahren für sich entscheiden, schon gar nicht nach ökologischen Kriterien.

Piano Express - Einleitung

CARPE DIEM / CARPE NOCTEM, Kunstraum Techne Sphere, Leipzig 2024 © Kai-Hendrik Winkler

Die neu bevorstehende Epoche der Eisenbahn folgt diesen ökologischen Zielen noch konsequenter. Die neuen Traumreisen zielen inzwischen auf Möglichkeiten, für die die Voraussetzungen, wie in dieser Ausstellung gezeigt, noch zu schaffen sind. Die Menschen möchten selbstbestimmt reisen, allein oder zu mehreren, mit Bad und Bett, mit Arbeits- und Leseplatz am runden Panoramafenster, mit frisch gebrühtem Kaffee oder anderen Heißgetränken und einem exakt nach ihrer Bestellung individuell gefüllten Kühlschrank. Vielleicht von Hamburg nach Sizilien, mit Aufenthalt für eine Ausstellung und den Besuch von Freunden in München? Oder das Erlebnis der Nordlichter am besten Platz dafür, im Nationalpark Abisko im schwedischen Lappland, nach über 2.000 km Anreise? Auf die weltweit bequemste Art und Weise. Keine Rede mehr von der Hektik und den Unbequemlichkeiten des Fliegens oder der quälenden Mühsal von ebenso dicht besetzten Reisebussen, ohne jeden Service und meist auch Ausblick. Selbst der normale Zugverkehr, auch der Schweiz, kann den neuen Individualismus des Reisens in dieser Dimension nicht bieten. Darüber hinaus soll dieses neue Angebot auch innerdeutsche Flugstrecken ersetzen und richtet sich nicht nur an Urlaubsreisende, sondern auch an Geschäftsreisende, die auf dem Weg zu einem Besprechungstermin tagsüber in Ruhe arbeiten möchten oder sich zu mehreren auf einen Geschäftstermin vorbereiten.

Ausgangspunkt für die Konzeption

CARPE DIEM / CARPE NOCTEM, Kunstraum Techne Sphere, Leipzig 2024 © Kai-Hendrik Winkler

night view – carpte noctem / day view – carpe diem / 4er Kabine
night view – carpte noctem / day view – carpe diem / 4er Kabine
night view – carpte noctem / day view – carpe diem / 2er Kabine
night view – carpte noctem / day view – carpe diem / 2er Kabine

Unser Konzept, inspiriert vom absoluten Minimalismus japanischer Kapselhotels und innovativer Karawanen, bezieht sich auf die Abmessungen der schon bisher eingesetzten doppelgeschossigen Personen-Waggons. Dieses Raumangebot wird jedoch auf neue Art und Weise wohnlich umgesetzt, wobei die grundlegende Idee, der von außen zugänglichen Abteile ohne Verbindungsflur in Fahrtrichtung von unserem Auftraggeber Techno Kirow vorgegeben war. In unserer Überarbeitung schafft die in der Mitte längs geteilter Grundfläche die Möglichkeit, über vier Außentüren auf beiden Zugseiten jeweils 4 Zweier-Kabinen zu erschließen. Alternativ können ohne die Mittelwand auch Vierer-Kabinen realisiert werden oder barrierefreie Kabinen mit größeren Türen. Durch wechselnde Dimensionen der Abteile in Fahrtrichtung entstehen neben den Panorama-Abteilen für zwei Personen an den Wagenenden geräumigere Suiten bzw. Familienabteile für vier bis fünf Personen. Privatsphäre, Sicherheit, Hygiene und Design erreichen dabei für das Reisen im Schlafwagen eine neue Dimension. Jedes Abteil verfügt über 2,10 m lange Betten, ein eigenes Bad mit Toilette und eine eigene, hygienisch separate Heizungs- bzw. Klimaanlage. Mittels UVC-Lichtanlagen wird beim Belegungswechsel eine schnelle und effiziente Desinfektion erreicht. Individuelle Zugänge zu den Abteilen mindern die Geräusche auch außerhalb der privaten Abteile. Die Kommunikation zwischen dem Service- Personal des Zuges und den Reisenden ist über eine Smartphone App und ein Notrufsystem jederzeit möglich. Design, Materialität und Lichtkonzept veranschaulichen den hohen Anspruch des neuen Reisens auf der Schiene bis ins Detail. Besonders reizvoll ist dabei der atmosphärische Stimmungswechsel zwischen Tag und Nacht.

Gestaltungsidee Piano Express

CARPE DIEM / CARPE NOCTEM, Kunstraum Techne Sphere, Leipzig 2024 © Kai-Hendrik Winkler

CARPE DIEM / CARPE NOCTEM, Kunstraum Techne Sphere, Leipzig 2024

Als die Bahn vor langer Zeit nach den Sternen griff, baute sie ihre Waggons um, als handele es sich um Flugzeuge. Die Sitze in enger Reihe, die Tischchen so tief, dass man sie besser nicht herunterklappt. Und weil man bereits Generationen zuvor die Abteile mit ihren Schiebetüren entlang eines Flurs aufgereiht hatte, können sich heute die wenigsten daran erinnern, dass es einmal Waggons gegeben hat, deren Abteile man vom Bahnsteig aus bestieg. Fuhr der Zug, herrschte Ruhe in der Bahn. Dieses Prinzip haben nun die beiden Architekten Pierro Lissoni (Lissoni & Partners) und Hadi Teherani wieder aufgegriffen, mit Einfällen für eine Generation neuer Schlafwagen, von denen es sich gut träumen lässt. Um Entwürfe einiger Waggons ohne Flur in Fahrtrichtung hatte sie Ludwig Koehne gebeten, der mit seinem Maschinenbauunternehmen Techne Kirow von Leipzig aus die ganze Welt mit Eisenbahnkranen beliefert, wohnhausgroßen Ungetümen, schwer und stark genug, um von der Schiene aus schlichtweg alles zu heben. Weshalb nicht einmal zierlicher, dachte er, und präsentiert jetzt in einem Gebäude seiner Fabrik eine Ausstellung mit Entwurfsskizzen und Simulationen denkbarer Waggons, die ironischerweise wie Weiterentwicklungen der jüngsten und ausgefallensten First-Class-Kabinen der großen Fluggesellschaften wirken (bis 15. September 2024).

Keine Spur von Plüsch, nirgendwo ein Ornament, Schluss mit jeglicher Opulenz, wodurch sich die Schlafabteile der klassischen Fernreisezüge auszeichnen. Stattdessen eine fast aseptische Anmutung und die Strenge einer minimalistischen Ordnung, die sich völlig der Funktion unterwirft. Aber was ist da alles möglich! Da wird geschoben und geklappt und verdreht, und wie magisch verändern sich die Möbel von Sesseln zu Betten und die Abteile von Wohnzimmern oder Büros in Schlafgemächer. Betten schieben sich aus der Decke der doppelstöckigen Kabine, und Trennwände teilen Salons in Kammern. Unter Ablagen öffnen sich Schränkchen, hinter Lehnen sind Minibars untergebracht, und die Leiter fürs Hochbett klappt sich aus einer Säule heraus. Dass ein Schaffner klopft, um das Bett zu richten, davon ist nirgends die Rede. Aber man wünschte, man könnte in Filmen sehen, was hier an Verwandlungen in Bildstrecken erzählt wird. Und während eben noch das Licht durch Panoramafenster flutet, verdüstert es sich auf Knopfdruck mit einer dunklen Haut. Denn die Idee für den Betrieb ist eine Langstrecke, die tagsüber in die eine Richtung bedient wird mit Raum für Entspannung oder Konferenzen und nachts zurück als Schlafwagen, der das Angebot von Flug und Hotel in sich vereint – ohne die nervtötende Warterei an Gates und in Lobbys.

https://www.technesphere.de/

Project Factsheet

Market Launch2024
ClientTECHNE KIROW GmbH